Eröffnungsrede zur Ausstellung


Angela Fechter She's not there

„She's not there"
Im Flechtwerk der unbelaubten Sträucher, der noch kahlgrauen Bäume, am Ufer des kaum sichtbaren Wassers ist weder Licht noch Schatten. Eine Frau hockt da, am Rand, ihr Gesicht ist abgewandt. Vom hochgelegenen Treibholz aus ist der Arm zum Weiher gestreckt. Wir wissen nicht was sie tut. Unser Blick ist verstellt.

Im schilffreichen Geäst, auf einer weichen Zunge aus braunem Laub, kauert sie nun - den Kopf verdeckt - wie das Tier im Nest. Versteckt sie sich? Hat sie sich verlaufen? Lebt sie hier oder stirbt sie hier? Das blaue, das dunkel leuchtende Kleid, helle Haut, das Haar - rot - sie passt nicht hierher. Wohl auch nicht dahin, woher sie kam. She's not there!

Angela Fechter macht Bilder, Bilder von Frauen, Bilder von sich als Frau. Die Frau als Bild.

So sind sie gewesen
Schon lange ist klar: die Frau in der Kunst, das ist das Bild des Mannes von der Frau. Über Jahrhunderte waren es vor allem männliche Künstler, die einen festgeschriebenen Kanon an Frauenbildern schufen. Frauen sah man selten in den Werkstätten und Ateliers. An den Kunstakademien waren sie bis ins 20. Jahrhundert nicht zugelassen. Das ist nicht ganz richtig. Man sah sie hier sogar recht viel: im Bild. Als standfeste Heilige, als süße Mutter Gottes, als duldende Märtyerinnen und sanfte Engel. Man sah sie aber auch als Eva, als kühne Sünderin, als kühle Verführerin und Verbündete des Teufels. Manchmal waren sie beides zugleich. Maria Magdalena war zuerst Sünderin und dann Büßerin, Lucretia war tugendhaft, doch an ihrem Freitod, da schieden sich die Meinungen, Heroine oder doch eher feige.

Gerne sah der Künstler die Frau als Allegorie: der Tugenden und der Laster, der Schönheit als Inbegriff des Göttlichen und als Verkörperung von Eitelkeit und Luxus. Himmlische Liebe versus Irdische Liebe. Freigiebig und dann wieder verschwendungssüchtig. Mal fleißig oder doch eher hyperaktiv. Der Gegensätze gab es viele. Die Künste und Wissenschaften, die Erdreiche und Himmelsphären, die Elemente, Temperamente kaum ein benennbares Ding, das sich nicht passend als Frau verkleiden ließe.

Die Frau war eine geeignete Projektionsfläche. Sie war das sogenannte „Andere". Wenn sie Natur war, war er Kultur, wenn sie passiv, so er aktiv. Sie war das Ganze, dann war er ein Teil. Als „Anderes" war sie das, was der Mann begehrte und all das, was er fürchten musste. Vor allem muss er fürchten, was er begehrt und nicht erlangt. She's not there.

Vereinzelt im 19. Jahrhundert und dann im 20. treten immer mehr Frauen auf, die eigene Bildentwürfe für die Darstellung liefern und auch weibliche Lebenswelten vorführen. Und da sind es gerade die neuen Medien, Fotografie, Film und Video, die die Künstlerinnen inspirieren. Nicht die alten tradierten und bis dato männlich dominierten Gattungen Malerei und Skulptur. Hinzu kommt: Die Fotografie war lange nicht als Kunst anerkannt und so gab sie den Künstlerinnen die Freiheit zu experimentieren. Nun auch mit den neuen Bildern, den Hochglanzformaten der zeitgenössischen Werbung und der öffentlichen Medien, die dem alten Stereotyp zu neuem Leben verhalfen, den anbetungswürdigen Göttinnen, dem verlustierbaren Objekt.

Vier Fotografien der Ausstellung beziehen sich auf berühmte Vorbilder der älteren Kunstgeschichte.

„Ophelia II"
Am Fluß unter dem triefenden Laub hängender Äste treibt der Frauenkörper im weißen Kleid. Das Gesicht ist abgewandt. Links fasst der Arm sachte nach hinten das lange Gras am Ufer. Grün umkämmt es ihr Haupt. Im Wasser spiegelt sich dunkel der Baum.

Fechter zitiert ein kleinformatiges Gemälde des romantischen Malers Eugène Delacroix': „Der Tod der Ophelia". Shakespeares Ophelia, die ihre Liebe zu Hamlet unerwidert glaubt, die dem Wahn verfällt und ertrinkt.

Vieles ist anders als bei Delacroix. Seine Ophelia wird von der Strömung mitgerissen. Sie selbst ist farblich und kompositorischTeil der dargestellten Landschaft. Fechters Bild ist still und Ophelia scheint wie nachträglich in die Komposition gerückt. Einerseits ein notwendiger Bestandteil der abstrakten Bildkonstruktion, andererseits ungefügig in Hinblick auf die Darstellung. Ophelia schwebt ja förmlich vor dem Bild - vielleicht schwebt auch ihre Entscheidung. Auch die im Wasser reflektierenden Äste tragen entscheidend dazu bei, dem Bild als Bild Festigkeit zu geben, es aber gleichzeitig in der Abstraktion aufzulösen, Ophelia aus der Darstellung zu entlassen. Sie blickt zurück. Nicht eigentlich ins Bild, sondern auf das BiId.

Wir stellen uns vor, dass dies ein Filmset ist. Der Film ist längst abgedreht, aber die Kamera steht noch. Der Bildausschnitt ohne die Schauspielerin, die zu Mittag isst, bleibt leer. Da kommt eine andere Frau, die Nebenrolle, die Statistin, irgendeine und legt sich ins Bild, vollendet zwar die Komposition, passt aber nicht so recht in die Rolle. Ein Filmstill ist das nicht. Eher ein Stillleben oder ‚tableau vivant'.

Tableaux vivants
Eine Fotografie nach einem Gemälde oder mit Posen wie in einem Gemälde nennen wir ein ‚tableau vivant', französisch für ‚Lebendes Bild'. Traditionellerweise und seit dem 18. Jahrhundert populär war das ‚tableau vivant' ein Nachstellen berühmter Kunstwerke durch lebende Personen. Zur Belehrung und Unterhaltung bei höfischen und bürgerlichen Festen, auf der Bühne und auf öffentlichen Plätzen. Eingesetzt im Theater zeigte es vor allem einen klaren Abschluss der bewegten Aktionen an. Die Kunst des Stillhaltens erinnert auch vielmehr an das Modellsitzen beim Künstler und nicht an das fertige Gemälde. Ihr Charakteristikum: Obwohl lebende Personen im Spiel sind, bleibt es stumm. Eine Maske.

Weiblichkeit als Maskerade
Die britische Psychoanalytikerin Joan Riviere veröffentlichte 1929 einen Aufsatz, der die Frauenforschung bis heute prägt: „ Weiblichkeit als Maskerade". Darin vertritt sie die These, dass sich beruflich erfolgreiche Frauen gerne betont feminin gäben, um den Männern die Angst zu nehmen. Auf diese Weise maskierten sie allerdings ihre ‚männlichen' Eigenschaften. Das Versteckspiel konnte aber auch nur deshalb funktionieren, weil der Schlitz im Kleid, der tiefgelegte Ausschnitt und ein langes Bein als Zeichen natürlichen Frauseins galten. Riviere behauptet nun, es gäbe keine naturgegebene Weiblichkeit. Diese sei vielmehr eine gesellschaftliche Konstruktion, die die Frauen von ihrem Selbstverständnis entfremde, gleichzeitig aber auch Spielraum für den entstellten Selbstausdruck biete.
Spätestens seit den 70er Jahren ist die kritische Untersuchung der Geschlechterrollen auch ein Thema der Kulturwissenschaften geworden. Die Gender Studies setzen sich zum Ziel, die Gleichsetzung von biologischem Geschlecht (Sex) und sozial und kulturell konstruierter Geschlechterrolle (Gender) zu hinterfragen. Sie legen das politische Konstrukt offen, das diese Gleichsetzung für seine Zwecke instrumentalisiert.
Die Rhetorikprofessorin Judith Butler stellt in ihrem provozierendem Buch „Gender Trouble" nicht nur die Geschlechterrollen, sondern auch die Geschlechterdualität grundsätzlich in Frage. Auch sie sieht im formalen Spiel mit den althergebrachten Rollen eine subversive Strategie, weil ein Bruch mit dem tradierten Bildrepertoire weder möglich noch wünschenswert ist.

Wo liegt aber nun die Authentizität der abgebildeten Frauen? Die Fotografien von Angela Fechter geben immer auch den bewusst inszenierten Blick der Fotografin auf den eigenen Körper und seine Umsetzung in ein Bild wieder. Im Falle der Ophelia wandert dieser Blick stetig hin und her zwischen Verschwinden im Bild und Behauptung als Bild, zwischen Auflösung und Festschreibung. Einen Art Materialisierung der Selbst-Verflüchtigung.

„Ophelia"
Eine weitere Variante der Ophelia hat sich in die Badewanne gelegt. Von dem englischen Maler John Everett Millais aus dem Kreis der Präraffaeliten erzählt man sich, er habe für sein berühmtes Gemälde das Modell in einer Wanne posieren lassen. Fechters Ophelia sitzt also auch Modell. Allerdings hat sie sich in ein bereits durchkomponiertes Bild einer Badewanne begeben. Kompositionell passt alles wunderbar. Wenn nicht am Fußende der Wanne ein Spiegel stünde. Wenn nicht die Künstlerin, die zugleich das Modell ist, die Ophelia spielt, sich selbst darin zeigte: Denn in der Verkürzung, die das Spiegelbild erzeugt, wie auch in dem begrenzten Format wirkt Ophelia recht beengt. Und auch wenn sie „naturgemäß" in vollem Gewand ertrinken muss, so wirken das blaue Kleid und die silbernen Schuhe in der Wanne doch unangemessen. Millais' Ophelia in ihrem sanften, grün blühenden Wasserbett ist da recht gelassen. Mag das warme Wasser der Wanne während des Modellsitzens auch angenehm gewesen sein, die eigentlichen Umstände der Bildentstehung, wie sie uns Fechter hier vor Augen führt, waren es sicherlich nicht.

Ophelia ist aus dem Bild nicht mehr wegzudenken, ohne seinen fragilen Aufbau zu stören. So fragil wie eben auch der Spiegel plaziert ist - droht er doch fast wegzurollen. Nicht umsonst ist es der Bildrand, der ihn fixiert, und nicht etwa ein daneben dargestelltes Waschbecken.

Der Selbstmord
Der Tod ist ein wiederkehrendes Motiv. Wie die Künstlerin selbst sagt, geht es in ihren Fotos und in den Videos um „lebensmüde Frauen, die todes-sehnsüchtig aus dem Leben schreiten." Aus dem Leben schreiten ja, aber tot noch lange nicht. Bei genauerer Betrachtung ist der Tod eher eine Option, die zumindest in den Fotos nicht ausgeführt wird. Über den Tod wird reflektiert. Und eigentlich immer über den selbstbestimmten Tod, den Freitod. Wir sehen die Vorbereitungen, die Anleitungen, die Inszenierungen. Auch das ist auch eine Selbstbehauptung. Die Inszenierung ist dem Selbstmord an sich eigen und sie ist eine generelle Eigenschaft von Fechters Fotografien.
Und überhaupt, der Tod der Frau ist die Frauenrolle par excellence. Dies hat Elisabeth Bronfen, Professorin der Anglistik, in ihrem bekannten Buch „Nur über ihre Leiche" an Beispielen aus der Literatur- und Kunstgeschichte näher untersucht. Über der „schönen Leiche" treffen Anziehung und Abstoßung auf den endgültigen Objektstatus der Frau.

Fotografie und Tod
Der Tod ist nicht zuletzt im Medium der Fotografie augenscheinlich. Durch die Betätigung des Auslösers wird das Modell durch sein Abbild unsterblich. Gleichzeitig wird damit aber auch sein Verschwinden aus der Welt vorweggenommen. Der Philosoph Roland Barthes hat auf die gegenseitige Bedingtheit von Leben und Tod in der Fotografie hingewiesen. Sie lebt von der Illusion, dass der Abgebildete augenblicklich lebendig sei, weil er eben so lebendig wirkt. Zugleich ist klar, dass der abgebildete Moment bereits der Vergangenheit angehört, die Person vielleicht schon verstorben ist.

Das „Leere Haus"
Schwarz ragt das Gebilde, kompakt von unten empor. Die geschlossene Form gibt nichts zu erkennen. Außen an der Kontur zeichnen sich Haare ab und ein Kleid vor der gleißenden Wand. Alles ist grell, ausgeleuchtet, gerade mal ein Hauch von Schatten. Angewinkelt, zum Dreieck gekreuzt sind die Arme vor dem Gesicht. Nicht sehen und nicht gesehen werden. Darunter der Halsausschnitt als Schattenraum, wie ein zweites leeres Gesicht. Es kann einem unheimlich werden im „Leeren Haus", der Foto-Installation im Nebenraum.
Daneben ein zweites Foto. Durch das Haar, das wie ein Fell ist, graben kleine Hände, drücken die Augen zu. Dieses schwarze Haar ist kaum das Haar eines Kindes. Lang und dicht.

Fechter hat sich und ihre Tochter in einem leerstehenden Haus fotografiert. 19 der bislang 30 Fotoarbeiten sind hier als Installation präsentiert. Die Formate varieren, die spielerisch-assoziative Zusammenstellung in den hiesigen zwei Räumen vermittelt den Eindruck als hielten auch wir uns in diesem Haus auf.

Seit der Renaissance garantierte das gemalte Porträt, wie später die Fotografie, die Unsterblichkeit der Seele des Abgebildeteten. Dies im übertragenen Sinn, da das Werk den Künstler und sein Modell überdauert, aber durchaus auch im wörtlichen Sinn eines beseelten Bildes. Fechter spielt in dieser Installation darüber hinaus mit dem Fortleben im eigenen Kind, als eine Art „Abbild" der Mutter.
Im Kontext der Kunstgeschichte begleitet der Akt des Gebärens als Metapher den Mythos des kreativen männlichen Künstlers. Das Kunstwerk war seine Schöpfung, der Geburtsakt des Mannes. Seine Vernunft – das ist das höchste Vermögen der menschlichen Seele - und nicht sein Körper machte ihn zu einem ‚alter deus', zu einem gottgleichen Schöpfer. Die Lieblingskreation des bildenden Künstlers: die Frau, in der auch er Unsterblichkeit zu erlangen suchte.

Ein weiteres Foto der Installation treibt das angedeutete Verwechslungsspiel zwischen Mutter und Tochter fort: Den Rücken dem Betrachter zugekehrt, im verlorenen Profil ist die Frau zu sehen. Es sind die gleichen dichtgehängten Haare wie zuvor beim Kind. Wir sehen sie mit einem Spiegel in der Hand. Im Spiegelbild inmitten dieser Haare eingekleidet ein Kindergesicht. Das ist nicht das Gesicht der Hände der Frau mit dem Spiegel. Nein, hinten im Raum steht das Kind. Oder ist es die Kindheit? Die verlassene Kindheit in diesem verlassenen Haus. Das Spiegelbild gibt den Blick frei in die Vergangenheit und die Zukunft.

Hinter dem Wildwuchs von Haaren, Sträuchern, Astwerk, den efeunen Fenstern, flüchtenden Türen, irrenden Lichtern und trotzenden Spiegeln entzieht sich die Frau zwar der Abbildung, als Auslöser dieser Bilder aber wird sie stets vorausgesetzt.

Imke Bösch, München am 13. Juni 2010